Ferrocarril Chihuahua al Pacifico
Offiziell heißt sie Q-Linie, etwas verständlicher Chihuahua al Pacifico und im Volksmund CHEPE. Für welche Wortwahl man sich auch entscheidet, alle Bezeichnungen stehen für eine der schönsten Eisenbahnstrecken der Welt, einem Wunderwerk an Planung und Ingenieurkunst durch ein 3.000 m hohes Gebirge.
Die Q-Linie läuft von Topolobampo an der mexikanischen Pazifikküste über 673 km bis Chihuahua, der Hauptstadt des gleichnamigen mexikanischen Bundesstaates. Rechnet man noch die 268 km bis Ojinaga an der Grenze zur USA dazu, so beträgt die gesamte Strecke 941 km. Regelmäßig befahren wird heute aber nur die Strecke zwischen Los Mochis und Chihuahua.
Lange Zeit hat es gebraucht, diese für Nord-Mexiko wichtige Verbindung zu verwirklichen. Als Initiatoren gelten zwei US-amerikanische Visionäre des 19. Jahrhunderts: Albert Kinsey Owen und Arthur Edward Stilwell. Owens war Ingenieur mit Eisenbahnerfahrung; er hatte bereits am Bau der Strecke Laredo - Mexico City maßgeblich teilgenommen. 1861 bereiste er die mexikanische Pazifikküste und begeisterte sich am Naturhafen des heutigen Topolobampo. Dieses Gebiet erschien ihm ideal als Ausgangspunkt einer Eisenbahnroute über Mexikos Sierra Madre bis in die USA. Nicht nur die mexikanischen Bodenschätze und Holz sollten so schneller in die USA gelangen können; man stellte sich vor, auch Waren und Güter aus dem Fernen Osten an der Pazifikküste anzulanden und via Bahn weiter zu transportieren. So sollten die Kontinente wirtschaftlich näher zusammenrücken. Aber Owens erschöpfte sich in seinem utopischen Projekt - der Schaffung einer kommunisischen Kolonie am „Welthafen Topolobampo“.
Arthur Edward Stilwell war Sohn einer wohlhabenden New Yorker Familie und bereits mit 32 Jahren Eigentümer einer Eisenbahngesellschaft. Sein Plan war der Bau einer Verbindung von Kansas City nach Presidio, Texas. Von dort wollte er den Rio Grande überqueren und auf mexikanischer Seite einen Anschluss von Ojinaga quer durch Nordmexiko bis zur Pazifikküste bei Topolobampo schaffen. Diese Bahnstrecke wäre dann einige Hundert Kilometer kürzer als die Route Kansas City - San Francisco.
Die Finanzierung schien gesichert: in den USA standen Ölgesellschaften und Kommunen hinter dem Projekt, in Mexiko vergab die Regierung des Präsidenten Porfirio Diaz Land und Geldkonzessionen an reiche Unternehmer.
Es dauerte nicht allzu lang, bis 1897 der erste Spatenstich erfolgte. Bis zur mexikanischen Revolution 1910 hatte man schon fast 400 km Bahntrasse verlegt: einmal 295 km von Chihuahua bis Creel in die Sierra Madre, zum anderen vom Pazifik ausgehend die Strecke zwischen Topolobampo und San Pedro (105 km). Die beteiligten Firmen waren die Chihuahua Al Pacifico Railroad Company des Eigentümers Enrique Creel sowie die Kansas City, Mexico & the Orient Company Arthur Stilwells.
Die Revolution und die folgenden Kriegsjahre stoppten den weiteren Ausbau über das Gebirge; Züge wurden von Banden attackiert, und der mexikanischen Regierung fehlten die finanziellen Mittel. Nur die Strecke von Chihuahua bis Ojinaga am Rio Grande wurde noch fertiggestellt.
Erst nach dem zweiten Weltkrieg ging es wieder voran. Nachdem Präsident Lazaro Cardenas 1940 Mexikos Bahnen nationalisiert hatte, konnte die Lücke in der Sierra Madre geschlossen werden. Über 20 Jahre baute man, aber am 22. November 1961 war es schließlich soweit: der erste Zug von Los Mochis kam in Chihuahua an - fast ein Jahrhundert nach der Vision der beiden Pioniere. Die Strecke Chihuahua Al Pacifico war fertig, aber um welchen Preis! Die Kosten waren gewaltig, allein für den letzten Teil über 1 Milliarde Pesos, die Mexiko ohne fremde Hilfe finanzierte. Durch die lange Bauzeit wurde der Zug fast zu einem Anachronismus, denn nun existierten Straßennetze und Flugzeuge, so dass Fracht kaum noch eine Rolle spielte.
Trotzdem, der CHEPE – wie er liebevoll von den Mexikanern genannt wird, war und ist eine wichtige Verkehrsader für die Gebirgsbewohner, auf die sie sich täglich verlassen können – nun, wenn nicht ein unvorhergesehener Steinschlag oder Winterschnee sein Fortkommen verhindern. Und die Streckenführung bleibt ein Meisterstück der Ingenieure. 39 Brücken und 86 Tunnels, sich überschneidende Schleifen, alles was an baulichen Möglichkeiten denkbar erscheint, wurde verwirklicht. In wenigen Stunden schraubt sich der Zug von der Höhe des Meeresspiegels auf 2.439 m – in Steigungen, die 2,5 % nicht überschreiten, und maßgeschneiderten Kurven. Besonders der Anstieg zwischen El Fuerte und Temoris gehört zu den großen Erlebnissen der Fahrt. Der kleine Ort Temoris liegt auf einer Höhe von 1.100 m, von hier laufen die Schienen parallel zueinander, höhenversetzt (mit Weichenstellung) von der Station zu einem Bergrücken hinauf, um im letzten Tunnel dieses Abschnittes den Temoris-Wasserfall zu hinterfahren. In dem 937 m langen La-Pera-Tunnel beschreibt der Zug eine 180°-Kurve.
Während einer Fahrt mit dem CHEPE durchquert man verschiedene Vegetations- und Klimazonen:
- Zwischen Los Mochis und El Fuerte wächst eine Art Trockenwald. Locker stehende, von Kakteen durchsetzte Bäume und Büsche tragen einen Großteil des Jahres keine Blätter. Im Frühjahr jedoch schmücken gerade hier die violettblühenden Amape-Bäume sowie weißblühende Windengewächse die Hänge.
- Die Schluchten im unteren Bereich der Sierra Madre tragen subtropische und tropische Vegetation. Palmen sind häufig, Bananen, Ananas, Mangos und andere Früchte gedeihen hier sehr gut.
- Nach Temoris geben von Kiefern und Eichen dominierte Wälder den Ton an. Die Winter sind hier streng und schneereich.
- Östlich von Cuauhtémoc erstrecken sich weite Grasebenen bis Chihuahua. Sie bilden das land- und viehwirtschaftliche Zentrum des Bundesstaates Chihuahua.
Der CHEPE, ein Anachronismus? Sicher nicht, denn neben den Einheimischen der Sierra Madre, die auf ihn angewiesen sind, entdecken und dokumentieren immer mehr Touristen, Autoren und Kamerateams den Reiz dieser Bahnfahrt. Für Mexiko bedeutet das ein wichtiges Einkommen und auch eine Art Verpflichtung, diese Attraktion auch im Zeitalter der Düsenflugzeuge aufrechtzuerhalten.