Im Nordwesten des Bundesstaates Chihuahua, westlich des alten Camino Real zwischen El Paso und der Bundeshauptstadt Chihuahua, liegt Casas Grandes mit seiner berühmten Ausgrabungsstätte Paquimé. Das ausgedehnte archäologisch interessante Gebiet am Fuß der Sierra Madre Occidental erstreckt sich über eine Fläche von mehr als 60 Hektar am Westufer des Casas Grandes River; erst 10 Hektar des historisch so bedeutenden Gebietes wurden bis heute ausgegraben und gesichert. Die Überreste der Siedlung sind beeindruckend.
Mehrere Bauten, bestehend aus bis zu 600 Räumen, wurden aus gestampftem Lehm im mühseligen Handauflegeverfahren errichtet. Dabei wird nasser Lehm mit der Hand auf eine bereits vorhandene Lehmschicht aufgetragen und gleichmäßig verstrichen. Interessanterweise hatten die Gebäude rechtwinklige Mauern, was auf eine intensive Bauplanung hinweist und einen bemerkenswerten Unterschied zu Bauten anderer Kulturkreise dieser Epoche darstellt. Wasser wurde in offenen Gräben durch die Räume geführt. Ein weiteres Kennzeichen der Gebäude waren die T-förmigen Türen, die die einzelnen Zimmer miteinander verbanden. Die Gebäude umschlossen große Spiel- oder Versammlungsplätze. Es gab unterirdische religiöse Versammlungsräume und begehbare Brunnen. Die Überreste der festen Verkaufsstände auf den Märkten, die Ställe der Truthähne und der aus Südamerika importierten Papageien sind heute noch sichtbar.
Die Entwicklung der Bautechnik im 7. Jahrhundert n. Chr. begann in Paquimé mit den aus der nordamerikanischen Pueblo-Kultur bekannten Grubenhäusern – einfache Erdgruben, mit primitiven Dächern bedeckt. Im Verlauf der Jahrhunderte setzten sich einstöckige Häuser durch, während in der Hoch- und Endphase von Paquimé mehrstöckige Häuser mit faszinierenden Galerien und Säulen errichtet wurden. Die stützenden Säulen standen dabei meist auf Sandsteinsockeln. Die Spitzen der Pyramiden, aus Erde aufgeschüttet, hatten Plattformen – möglicherweise wurden sie für religiöse Zeremonien genutzt bzw. dienten für Signalfeuer oder als Beobachtungsposten.
Wie alle vorkolumbianischen Siedlungen gibt uns Paquimé mehr Rätsel auf, als bis jetzt lösbar sind. Schriftliche Aufzeichnungen der einstigen Bewohner existieren nicht oder wurden von den spanischen Eroberern vollständig vernichtet. Die Funde deuten darauf hin, dass während der Besiedlung (700-1450 n. Chr.) Verbindungen wirtschaftlicher und kultureller Art nach Süden bis nach Mittelamerika und nach Norden bis in die heutigen US-amerikanischen Bundesstaaten Texas, New Mexiko und Arizona aufgebaut wurden. Die Entwicklung der Casas-Grandes-Kultur war langsam. Man betrieb Landwirtschaft im Stil der damaligen Zeit, d. h. Anbau von Mais, Kürbissen und Bohnen, ergänzt durch die Jagd von Nagetieren und Rotwild. Auffallend ist, dass in Paquimé sogar Bisonknochen nachweisbar sind.
Nach Ansicht der Archäologen verlief die Entwicklung in der Endphase Paquimés in kürzester Zeit und offensichtlich planmäßig. Paquimé erhielt nun auch eine schützende Befestigungsmauer. Hoch interessant ist die Tatsache, dass um 1350, eine Zeit, in der übrige Pueblo-Kulturen wie z. B. die Anasazi, Mogollon und Hoho kam zusammenbrachen und ihre Siedlungen verließen, Paquimé sich zu einem Handelszentrum mit geschätzten 10.000 Einwohnern entwickelte. Aus dieser Zeit stammen auch die großen Lagerhäuser, in denen die Vorräte der Indianer gespeichert wurden; hier fanden Archäologen die Überreste der bedeutenden Kupfer-, Keramik- und Muschelarbeiten. Heute nimmt man an, dass das Handwerk in dieser Zeit sehr stark weiterentwickelt wurde. Neben einer richtigen „Keramik-Industrie“ sind die hochwertigen Kupferarbeiten zu nennen; Kupferteile wurden kalt gehämmert oder nach dem Wachsausschmelzverfahren hergestellt – dabei wird eine Form aus Wachs mehrmals in Sandschlämme getaucht und getrocknet. Das so entstandene Modell wird erhitzt, sodass das Wachs aus der Form ablaufen kann. Zurück bleibt die leere Form, die jetzt mit flüssigem Metall gefüllt wird. Wenn das Metall erkaltet ist, wird die Form zerschlagen und das fertige Werkstück liegt vor. Eine Basis für den Handel mit eigenen Produkten war geschaffen.
Welcher Faktor diesen Entwicklungsschub verursachte, ist umstritten. Eine Theorie besagt, dass bedingt durch die Ausweitung des Handels, eine Invasion von weiter entwickelten Händlern und/oder Priestern aus dem Süden Mexikos zielbewusst die Führung beim Ausbau der Siedlung übernahm. Dafür sprechen bautechnische Entwicklungen, die auf den mittelamerikanischen bzw. zentralmexikanischen Einfluss hinweisen, z. B. die Auskleidungen der Gruben und Wasserleitungen mit Steinen, hierfür war der gestampfte Lehm ungeeignet. Nach einer anderen Theorie wanderte die Bevölkerung der aufgegebenen Pueblo-Kulturen nach Paquimé ein und baute den Ort entsprechend aus.
Trotz der Blüte war Paquimé schon vor Ankunft der Spanier wieder verlassen. Das Ende der Casas-Grandes-Kultur im 15. Jahrhundert n. Chr. kann durch kriegerische Überfälle oder durch den Zusammenbruch des Handels gekommen sein. Bei der Beschreibung der Ausgrabungsarbeiten wird davon berichtet, dass Leichen im Bewässerungssystem lagen und die wertvollen Zuchtvögel offensichtlich in ihren Käfigen verhungerten, was auf ein gewaltsames Ende des Pueblos schließen lässt. Möglich ist auch, dass die große Zahl der Menschen nicht mehr zu ernähren war und diese sich wieder zu kleineren Siedlungseinheiten zusammenschlossen, die die Umwelt nicht so stark belasteten.
Die berühmten Keramikarbeiten aus dem alten Paquimé, ein wichtiger Bestandteil des vorkolumbianischen Handels, sind bis auf wenige Exemplare nur als Scherben in den großen Museen dieser Welt zu bewundern.
In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts war in Mata Ortíz, einem kleinen Ort in der Nähe Paquimés, der junge Juan Queseda von den keramischen Überresten der Ausgrabungen so fasziniert, dass er in einer Reihe von Experimenten versuchte, ähnliche Keramiken herzustellen. Dazu war es notwendig, das richtige Rohmaterial zu finden. Reiner Ton riss beim Trocknen. Es dauerte einige Zeit bis man das ursprünglich benutzte Material fand - Ton mit Vulkanasche vermischt, aus einer Fundstelle in der Nähe von Paquimé. Zu dem Aufbau der Gefäße, der Bemalung und dem Brand mussten weitere Versuche durchgeführt werden. Heute arbeiten in Mata Ortíz fast 500 Töpfer und versuchen, mit jedem Stück an die Qualität der Originale von Paquimé anzuknüpfen.