Baja California, der Kakteengarten Mexikos.
Cardón, Cholla, Pitaya, Cochal, Senita – Kakteen aller Formen und Größen begleiten den Reisenden auf Schritt und Tritt. Ob säulenförmig oder als Kugel, ob mit scheibenförmigen oder zylinderförmigen Trieben, sie dominieren die Vegetation und bilden, da sie bis an die Küstenlinie wachsen, zum azurblauen Meer einen einmaligen faszinierenden Kontrast.
Dabei sind Kakteen über die ganze Neue Welt verbreitet. Sie wachsen von Kanada bis Patagonien, vom Pazifik bis zum Atlantik, vom Meeresniveau bis 4.500 m Höhe, im Dschungel und in der Wüste, auf dem Boden oder epiphytisch auf anderen Pflanzen. Die größte Artenvielfalt findet man jedoch im Südwesten Nordamerikas. Allein in Nord-Mexiko existieren etwa 1.000 Arten, in Baja California 120. Gut die Hälfte davon ist endemisch.
Da sie sich an Trockengegenden angepasst haben, sind Kakteen Meister im Sparen und Nutzen von Wasser. Alle Teile der Pflanze dienen diesem Zweck. Das Wurzelwerk ist großflächig und oberflächennah, der Stamm aus sukkulentem wasserspeicherndem Gewebe gebildet. Parallel laufende Rippen bewirken eine Volumenvergrößerung nach dem Ziehharmonika-Prinzip, so dass manche Kakteen ihr Gewicht durch Wasseraufnahme verdoppeln können! Bis 95 % des Totalvolumens kann dann Wasser sein! Blätter sind nicht mehr zu sehen. Sie wurden wegen der zu hohen Wasserverluste zu Dornen in verschiedenster Länge, Form und Härte umgewandelt; die Photosynthese übernimmt die grüne Stammrinde. Ein dichtes Dornenkleid schützt gleichzeitig auch vor Fraß und isoliert gegen Hitze wie Kälte gleichermaßen. Lederhäute, Wachsschichten und Silberhärchen helfen gegen die Verdunstung und reflektieren die Sonnenstrahlung.
Und die Blüten? Meist blühen Kakteen nur wenige Tage in schönen Farben von weiß, gelb, rot bis lila.
Manche öffnen ihre Blüten ausschließlich nachts. Sie werden dann im Gegensatz zu den Tagblühern – die auf Vögel und Schmetterlinge attraktiv wirken – von Fledermäusen und nachtaktiven Insekten befruchtet.
In Baja California spielen Kakteen eine überaus wichtige Rolle im Ökosystem und sind für viele Tiere Lebens- und Nahrungsgrundlage; z. B. der Cardón; mit manchmal bis über 20 m Höhe und 1,5 m Durchmesser ist er der mächtigste Kaktus der Welt. Solch ein Koloss hat bis 12 t Gewicht, nach ausgiebigen Regenfällen oft das Doppelte! Und er kann, da er sehr langsam wächst, weit über 200 Jahre alt werden.
Cardónes sind besonders für Vögel mehrstöckige Apartmenthäuser, in denen sie ihre Brut aufziehen. Gilaspechte bohren jeden Frühling neue Nisthöhlen in die Stämme. Außer ihnen bewohnen wohl ein Dutzend Vogelarten die Höhlen; z. B. Eulen, Stärlinge oder Kaktuszaunkönige. Gelegentlich hält sich auch ein Leguan darin auf. Andere Vögel nisten in den „Astgabeln“, so Weißflügeltauben und Rotschwanzbussarde oder sie benutzen den Cardón als Warte (Truthahngeier).
Kakteenfrüchte stellen in der trockenen wasserarmen Umwelt eine wichtige Nahrungsquelle dar. Eingebettet in das Fruchtfleisch sind gehaltvolle Samen, beim Cardón z. B. bis zu 2.000! Die Früchte werden gerne von Kojoten, Wildschweinen, Füchsen, Nagern, Vögeln und Insekten gefressen.
Und auch der Mensch ist ihnen nicht abgeneigt. Schon früher bereiteten Indianer daraus Marmelade, Sirup und Wein. Besonders begehrt waren die tennisballgroßen saftigen und süßen Früchte des Orgelpfeifenkaktus (Pitaya dulce). Ihre Reifezeit war für die Pericu-Indianer in der Kapregion eine Zeit der Feste und sozialen Ereignisse. Sie richteten ihren Kalender danach aus und veranstalteten regelrechte Frucht-Orgien. Dies war die sog. erste Ernte. Nachdem die Indianer die Samen unverdaut an bestimmten Stellen ausgeschieden hatten, sammelten sie sie später wieder ein und bereiteten daraus, gemahlen und zu Teig verarbeitet, das kräftige Pozole (zweite Ernte).
Charakteristisch für Baja California sind auch die buschförmig wachsenden Opuntien oder Feigenkakteen und Chollas, die in mehreren Arten vorkommen. Der Unterschied zwischen beiden Formen: Opuntien haben scheibenartige ovale Triebe, Chollas zylinderförmige. Aus dem gekochten Fruchtfleisch junger Opuntientriebe gewinnt man die beliebten nopalitos, die als Gemüse ähnlich grünem Spargel gegessen werden. Hierzu werden Opuntien in Kulturen angepflanzt. Die Früchte (tunas) mancher Opuntienarten isst man roh oder verarbeitet sie zu Sirup und Marmelade.
Aber nicht nur als Nahrung sind Kakteen nutzbar. Manche eignen sich, dicht gepflanzt, als lebende Zäune gegen unliebsame Tiere oder zur Eingrenzung von Weiden. Die verholzten Streben der großen Arten wie Cardón und Orgelpfeifenkaktus dienten den frühen Siedlern als Bau- oder Brennmaterial.
Stacheln waren Werkzeuge oder Angelhaken, so etwa die besonders langen und stabilen Stacheln der Fasskakteen. Despektierlich als Schwiegermutterkissen tituliert, sind sie massive hüfthohe Gebilde. Manche Kakteen sind in der Kosmetikindustrie begehrt, denn sie enthalten erfrischende, hautregenerierende Substanzen. Und auch die Medizin weiß sie zu schätzen; so z. B. den Peyote, der das Mescalin zur Blutdruckregulierung liefert.
Neben den großen auffallenden Kakteen Bajas leben noch viele weitere im Verborgenen. Unter Büschen verstecken sich z. B. die zierlichen kugelförmigen Mammilarias. Oder der Echinocereus engelmannii/Strawberry Cactus, eine der ersten im Frühjahr blühenden Arten.
Etwas besonderes in Bajas Kakteenwelt ist sicher der nur in der Magdalena-Ebene vorkommende Kriechende Teufel. Er schiebt sich langsam in Form von „wandernden Trieben“ über den Wüstenboden und klettert sogar über Hindernisse hinweg. Dies geschieht durch Wachstum an der Spitze, Absterben des Endes und Einsenken von Wurzeln in den Boden. Nachdem so die Mutterpflanze abgestorben ist, treiben die Ableger selbst weiter aus. Leider hat die Einengung des Lebensraumes wegen des Bewässerungsfeldbaus die Kriechenden Teufel selten werden lassen, wie auch so viele andere Kakteenarten, die der Landwirtschaft im Wege stehen. Ihre Beliebtheit als Sammler- und Dekorationsstücke trägt ebenfalls zum massiven Rückgang bei. Alle Kakteen stehen heute im Washingtoner Artenschutzabkommen auf der Liste bedrohter Pflanzen und dürfen daher auch in Mexiko nicht von ihrem Standort entfernt werden.